Archiv für 5.3.2006

Öfter mal was neues

Ich klicke selten auf Werbebanner, eben habe ich es getan: Ich habe bei Spiegel Online auf eine Werbung der Fluggsellschaft Condor geklickt. Ich bin mit denen noch nie geflogen. Erst habe ich mir angesehen, welche Routen sie fliegen, dann habe ich mir die Informationen für behinderte Reisende angesehen (die Seite nennt sich „Kranke und Behinderte) und entdeckte Erstaunliches (WCHC steht für Passagiere wie mich, die nicht laufen können):

„Beim Reservierungscode „WCHC“ ist Voraussetzung für ein Reisen ohne Begleitperson, dass die gesamte Reisedauer 14 Stunden nicht überschreitet, der Fluggast durch seinen Arzt auf eine längere Flugreise vorbereitet wurde und bei Mahlzeiten/Getränken Einschränkungen akzeptiert. Dies gilt ebenfalls für die Distanz vom Sitz zur Toilette.“

Ich habe die Reisedauer vom 14 Stunden schon öfter überschritten und habe auch vor, dies in Zukunft zu tun und wüsste auch nicht, was das die Condor interessiert. Mein Arzt hat mich noch nie auf eine längere Flugreise vorbereitet und ich wüsste auch nicht, warum ich wegen meiner Behinderung Einschränkungen bei den Mahlzeiten hinnehmen sollte: „Den nicht behinderten Fluggästen servieren wir heute Hühnchen mit Reis. Die behinderten Reisenden dürfen sich über eine Suppe freuen.“ Oder wie habe ich das zu verstehen? Und was bedeutet „Dies gilt ebenfalls für die Distanz vom Sitz zur Toilette“. Da gibt es Einschränkungen? Das ist gut. Das heißt der Weg ist kürzer, oder?

Man hat irgendwie den Eindruck, die Condor will behinderte Fluggäste loswerden und/oder wurde extrem schlecht beraten bei der Erstellung dieser Informationen. Willkommen fühle ich mich jedenfalls nicht.

Blinde als Spardose – die Werbekampagne der Christoffel-Blindenmission

Die Christoffel-Blindenmission (CBM) hat offensichtlich mehrere Jahre lang mit einer herabsetzenden Darstellung von blinden Menschen für Spenden geworben – ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte. Auf den Plakaten der Kampagne ist ein blinder Afrikaner zu sehen, der Geldschlitze statt Augen hat.

Blinder Afrikaner mit Geldschlitzen als Augen

Nach Protesten von blinden Menschen, hat die CBM die Kampagne nach eigenem Bekunden jetzt eingestellt.

Mir war die Werbung 2004 schon aus einem anderen Grund aufgefallen: Der Slogan „Blindheit ist heilbar“ neben einem Artikel über Peter Singer. Allerdings konnte ich online bei der kleinen Werbung nicht erkennen, dass es sich bei den Augen um Geldschlitze handelt (wahrscheinlich auch, weil ich es für völlig abwegig hielt). Ich dachte, es sei eine Brille.

Grundsätzlich stehe ich Spendenorganisationen, die mit Mitleid werben sehr kritisch gegenüber. Wie soll da Hilfe auf gleicher Augenhöhe möglich sein, wenn man die Hilfsempfänger als arme bemitleidenswerte Geschöpfe darstellt? Was die CBM allerdings gemacht hat, geht noch darüber hinaus. Sie setzt nicht nur auf Mitleid, sondern stellt blinde Menschen als Spardosen dar. Wer so ein Bild von blinden Menschen verbreitet, kann nicht erwarten, dass behinderte Menschen diese Organisation noch in irgendeiner Weise unterstützen – weder finanziell noch ideell.

Update: Bei BIZEPS-INFO gibt es noch weitere Hintergrundinformationen zu der Geschichte, samt Links zu Interviews von Jens Bertrams, unter anderem mit einem blinden Entwicklungshelfer. Die Pressemitteilung zum Start der Kampagne findet sich noch beim Presseportal. Dort ist zu lesen, dass die Kampagne aus dem Hause BBDO stammt. Und beim Gesamtverband Kommunikationsagenturen kann man nachlesen, dass BBDO für diese Kampagne einen Preis bekommen hat: Den Social Effie in Bronze. Die „Fallbeschreibung“ ist auch sehr lesenswert. Und auch, wer Mitglied der Jury 2005 war.

Kontraste

Das Leben ist voller Kontraste: Gestern noch war ich bei Edelmans Blue Hour und lauschte David Weinbergers Vorstellungen von richtiger Kundenansprache in Zeiten von Web 2.0, da finde ich heute in meinem Postfach eine Mail eines Unternehmens, das mir mitteilt, dass auch sie auf der CeBIT vertreten sind. Das alleine ist nichts besonderes, das haben an die hundert Firmen in den vergangen Tagen getan (ich bräuchte wahrscheinlich gar keinen Messekatalog. Ich müsste nur alle Mails ausdrucken).

Das besondere an der heutigen Mail: Das Unternehmen zeigt auf der CeBIT unter anderem Zeiterfassungsgeräte. Wow! Dass es das noch gibt – so Stempelgeräte! Und das auf der CeBIT – nix mit New Economy und so. „Wer kauft sowas heute noch?“ habe ich mich so spontan gefragt. Die Antwort bekam ich dann prompt beim abendlichen Stadtbummel: Im Personaleingang von Karstadt habe ich so Zeiterfassungskarten hängen sehen – aus Pappe.

Weinberger riet an die Unternehmen, transparent und nicht „stupid“ zu sein. Blogs könnten dazu beitragen. Vielleicht nicht unbedingt vom CEO (weil der das unter Umständen verlernt haben könnte, wie man Menschen menschlich anspricht), aber vielleicht von Mitarbeitern. Aber irgendwie kann ich mir nicht so ganz vorstellen, dass ein Unternehmen, das Pappkarten im Flur hängen hat, bloggt. Denn mit „Kontrolle abgeben“ habe Bloggen auch zu tun, meinte Weinberger. Das passt aber nicht zu den Zeiterfassungsgeräten.

Von mir aus muss Karstadt muss auch gar nicht bloggen. Ich wäre schon froh, wenn die Angestellten mich nicht so oft ignorieren würden und mehr Mitarbeiter (nicht alle!) die Floskeln „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ in ihren Wortschatz aufnehmen würden. Das ist schon fast wie menschliches Bloggen – nur halt Real Life 0.5 nicht Web 2.0.